„Friedensvormittag“ für die Jahrgangsstufe 11

An einem Mittwochmorgen, am 9. Februar 2022, gingen wir alle, die gesamte Stufe 11, in die Internatsaula. Noch nichtsahnend, dass wir mit einem bedrückenden, mitreißenden und zugleich bewegenden Gefühl die Aula nach ca. vier Schulstunden verlassen würden.

Empfangen wurden wir von Pfarrer B. Balke von der Interkulturellen Gemeinde Bad Kreuznach und Pfarrer i. R. E. Lagoda, von Frau Westermayer und Herr Stölzgen, der als Übersetzer bereitstand, – und von Nesar Aslamyaar, einem ehemaligen Mitarbeiter der indischen Botschaft, der aus Afghanistan geflüchtet ist. Nach einer kurzen Andacht von Pfr. Balke stellte sich Herr Aslamyaar vor und begann daraufhin, uns auf (für uns gut verständliches) Englisch seine Lebensgeschichte zu erzählen. Schon nach ein paar kurzen Unterbrechungen von Herrn Balke, der kurze Abschnitte ins Deutsche übersetzte, mussten die ersten, die im Publikum saßen und gespannt zuhörten, schlucken. Aslamyaar berichtete uns von Terroranschlägen der Taliban in Afghanistan, seiner Heimat. Des Weiteren teilte uns der 32jährige mit, dass er von dieser Terrorgruppe entführt und leider auch gefoltert wurde. Und zwar so stark, dass er bis heute sowohl an physischen als auch an psychischen Folgen leidet.

Er floh mit seiner Familie, wurde von dieser aber getrennt und wusste lange nicht, wo seine Frau und seine zwei Kinder blieben und ob diese überhaupt noch lebten. Eine ständige Angst, die ihn Tag für Tag verfolgte. In der Hoffnung, dass sie nach Griechenland gelangt seien, versuchte er dies ebenfalls, scheiterte jedoch etliche Male dabei, über das Land zu flüchten, woraufhin er mehrmals ins Gefängnis kam. Über das Meer, auf kleinen Schlauchbooten, gelang es beim 15. Versuch, und als er ankam, wurde er über einen Anruf informiert, dass seine Familie lebte und nach Afghanistan zurückgekehrt war, erzählte Aslamyaar, während er sich seine Tränen wegwischte. Nach zweieinhalb Jahren ohne Anhörung in Griechenland ging seine Reise weiter. Er gelangte nach Österreich, wollte jedoch nach Deutschland, in die Stadt Bad Kreuznach, wo sein Onkel mit Familie lebt und ihn empfangen würde.

Nach einigen Hürden gelang ihm die Einreise nach Deutschland, er wird in Bad Kreuznach von der Interkulturellen Gemeinde betreut und bewohnt ein Zimmer in der Nähe der Wohnung seines Onkels. Doch jederzeit könnte der Brief kommen, der ihm mitteilt, er müsse zurück nach Österreich, wo er erstmals in der EU registriert wurde und daher gemäß dem Dublin-Abkommen seinen Asylantrag stellen muss. Da ihn die Familie seines Onkels in Bad Kreuznach psychisch enorm stabilisiert, während er in Österreich niemanden kennt, setzt er nun alles daran, in Deutschland bleiben zu dürfen, was unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich möglich ist.

Nach der ebenso sachlichen wie emotionalen Schilderung seiner Lebensgeschichte wurden wir entsprechend der drei Deutschkurse in drei etwa gleichgroße Gruppen aufgeteilt und befassten uns mit verschiedenen, aber dennoch zusammenhängenden Themen:

  • Was heißt es, flüchten zu müssen? (Nesar Aslamyaar)
  • Wie können Geflüchtete in Deutschland willkommen geheißen werden? (Bendix Balke)
  • Sicherheit neu denken – Gewaltfreie Alternativen der Krisenbewältigung (Ekkehard Lagoda)

Im Anschluss an die Gruppenarbeitsphase versammelten sich alle drei Gruppen wieder in der Internatsaula, fassten die jeweiligen Ergebnisse für die anderen zusammen und bedankten sich herzlich bei Nesar Aslamyaar und den Pfarrern Balke und Lagoda.

Fazit:
Nesar Aslamyaar gab uns einen kurzen Einblick in seine Lebensgeschichte, der aber dennoch genügte, dass man tief durchatmen musste und einem ein kalter Schauer über den Rücken lief. Und ich denke, dass nicht nur ich, sondern viele andere auch, die an diesem Tag in der Internatsaula saßen, mit einem anderen Gefühl herausgingen. Ein zwar bedrückendes, aber dennoch gutes Gefühl, denn man bekam eine andere Perspektive auf sein eigenes Leben. Wenn wir ehrlich sind, wollen oder sehen viele immer nur das, was sie nicht haben. Doch wie wäre es, diese Sicht mal umzudrehen? Ein Dach über dem Kopf, Nahrung, Familie, Bildung, Medizin und insbesondere … Frieden! All dies umgibt uns täglich und wirkt, ehrlich gesagt, so selbstverständlich. Doch dies ist es überhaupt nicht.

Diese Erkenntnis veranlasste uns im Nachhinein dazu, in einem Brief die Landrätin des Kreises Bad Kreuznach, Bettina Dickes, um ihre Unterstützung des Antrags von Nesar Aslamyaar auf den Verbleib in Deutschland zu bitten. Diesen Brief haben fast alle Schüler/innen der Jahrgangsstufe sowie die beiden beteiligten Lehrer unterschrieben. Wer Herrn Aslamyaar erlebt und seinen Bericht gehört hat, kann sich dem einfach nicht verschließen, und wir hoffen mit ihm, dass die deutschen Behörden Verständnis für seine Situation zeigen und ihn nicht nach Österreich abschieben. Ende März werden wir erfahren, ob dieser Wunsch in Erfüllung gegangen ist, und Sie darüber informieren.

Nova Lubka-Kaminski (Jgst. 11), Edeltraud Westermayer (Lehrerin für D/eR)