Freundschaft ist etwas Wunderbares und gehört selbstverständlich in unser aller Leben. In 40 Jahren Schüleraustausch zwischen Sainte-Anne und dem PSG sind grenzüberschreitend Freundschaften entstanden, es ging sogar eine Ehe daraus hervor! Wie schön, dass das möglich war und ist! Schauen wir jedoch auf die Geschichte der beiden Länder, dann ist es ganz und gar nicht selbstverständlich, dass Deutschland und Frankreich heute so freundschaftlich miteinander verbunden sind. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass beide Länder stabile Demokratien sind. Angesichts einer Weltlage, in der demokratische Werte zunehmend aktiv verteidigt werden müssen, und angesichts eines Krieges auf europäischem Boden erhält die deutsch-französische Freundschaft zwischen dem PSG und Sainte-Anne im Hause Europa eine umso größere Bedeutung.
Darum haben wir uns dazu entschieden, das besondere Jubiläum auf besondere Weise zu nutzen, um diese Freundschaft zu reflektieren und zu feiern. Mit dem „Friedensbus“, dem „Bus de la paix“, machten wir uns auf nach Sablé-sur-Sarthe, um unser von langer Hand gemeinsam geplantes und fächerverbindendes deutsch-französisches Projekt umzusetzen. Eine Woche lang teilten wir mit unseren französischen Partnerinnen und Partnern den Friedensbus sowie viele intensive und unvergessliche Momente.
Die beiden Schulen profitierten stark von „Erasmus plus“, einem Programm, mit dem die EU persönliche Begegnungen von Jugendlichen unterstützt. Das Projekt „Vom Feind zum Freund: Feste feiern – Frieden fördern“ war sowohl fächer- als auch jahrgangsübergreifend angelegt und folgte konsequent einer Linie von der Überwindung der sogenannten Erbfeindschaft zwischen Frankreich und Deutschland hin zu Versöhnung und Freundschaft in der Europäischen Union.
Es war eine besondere Gemeinschaft, die sich außerhalb des jährlichen Austauschprogramms bildete. An der deutsch-französischen Begegnung nahmen 16 Schülerinnen und Schüler des PSG, des Leistungskurses Geschichte der Jahrgangsstufe 11 sowie des Grund- und des Leistungskurses Französisch teil, und 28 Jugendliche von Sainte-Anne. Die Schülerinnen und Schüler der 8. Klassen, die in diesem Jahr eigentlich am Austauschprogramm teilgenommen hätten, waren in das Projekt eingebunden. So gestalteten sie ein Logo für Sainte-Anne und verschiedene andere Kunstwerke, darunter eine bunt genähte 40, Modellhäuser und eine fantasievolle Collage (PSG). Sie trugen damit zu unserer Jubiläumskunstausstellung und zum Programm bei. Außerdem nahmen einige 8er Gastschülerinnen und -schüler auf, wofür wir uns auch an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanken.
In Frankreich arbeiteten die deutschen und französischen Jugendlichen gemeinsam an verschiedenen Projekten und kamen dabei einander näher. Thema war v.a. das Schicksal zweier Männer, die während der Zeit des Nationalsozialismus dem Regime Widerstand leisteten: Raphaël Élizé und Paul Schneider. Beide starben im Nazi-Konzentrationslager Buchenwald. Paul Schneider, der dem kirchlichen Widerstand angehörte, wurde dort inhaftiert und 1939 ermordet. Raphaël Élizé war der erste farbige Bürgermeister Frankreichs. Als deutsche Truppen Sablé im Zweiten Weltkrieg besetzten, schloss er sich der Résistance an, wurde verhaftet und deportiert. Tragischerweise kam er kurz vor Kriegsende durch einen Bombenangriff der Alliierten auf Weimar ums Leben.
Diese Biographien und Schicksale bzw. „destins croisés“ zweier Menschen, die für ihre christlichen und demokratischen Überzeugungen einstanden, ergründeten die Schüler in gemischten Gruppen. Ergänzend dazu setzten sie sich mit dem Inhalt und Entstehungshintergrund von Barbaras Chanson „Göttingen“ auseinander, um dessen Bedeutung als musikalischen Meilenstein der deutsch-französischen Annäherung zu erfahren. Die verbindende Macht der Musik spürten alle, Jung und Alt, beim gemeinsamen Singen. Die Schulgemeinschaften beider Schulen sangen eine auf Meisenheim umgedichtete Version des Chansons „Göttingen“ sowie den Song „Le pouvoir des fleurs“, der mit zunehmender Begeisterung auch während der Busfahrten gesungen wurde.
Eine durch die französischen Schülerinnen und Schüler angeleitete Stadtrallye auf den Spuren von Raphaël Élizé mit Besuch seines Wohnhauses und seines einstigen Büros im Rathaus mündete am Abend in einen Festakt. Im Mittelpunkt stand ein Rückblick auf 40 Jahre Partnerschaft mit all ihren Veränderungen, die in Wort und Bild festgehalten waren. Etwa 1 500 Schülerinnen und Schüler und – von Seiten Sainte-Annes – ein ganzes Lehrerkollegium haben nach den Worten von Schulleiter Christophe Gonnier daran teilgenommen. Yvette Coubard, wegen ihrer jahrelangen Begleitung liebevoll „Madame échange“ genannt, teilte ihre Erinnerungen mit der Festgesellschaft, zu der auch viele Eltern gehörten. An sie wandte sich Gonnier mit einem Wort des Dankes. Er betonte: „Ohne die Eltern, die immer wieder bereit sind, Gastschüler aufzunehmen, wäre der Austausch nicht möglich.“
Dem pflichtete seine Kollegin Karin Hofmann bei. In ihrer Festrede mit zahlreichen historischen Bezügen ging sie auch auf die Begegnung zwischen Charles de Gaulle und Konrad Adenauer ein. „Frankreich und Deutschland sind der Motor Europas“, betonte sie. „Die persönlichen Begegnungen durch Städtepartnerschaften, Kultur- und Jugendaustausch haben Versöhnung erst möglich gemacht.“ Beide Staatsmänner setzten auf die heilende Kraft persönlicher Begegnungen. Sie vertrauten auf die Jugend, um die jahrelange „Erbfeindschaft“ zwischen den beiden Ländern zu beenden. „Dazu gehörten Mut und Beharrlichkeit, denn beide hatten damals nicht die breite Mehrheit der Bevölkerung hinter sich“, betonte sie.
Betroffene Gesichter zeigten die jungen Menschen beim Besuch von zwei Soldatenfriedhöfen nahe Caen an der Küste der Normandie: Am „Omaha-Beach“, der Landungsstelle der alliierten Truppen im Juni 1944 und an der Ruhestätte deutscher Soldaten in der Nachbarschaft. Der jüngste hier bestattete Soldat war 16, der älteste 67 Jahre alt. „Es gibt einen Unterschied zwischen Siegern und Besiegten“, registrierte eine Teilnehmerin. Während sich der deutsche Friedhof zurückhaltender präsentierte, stand auf dem US-amerikanischen Terrain Heldenverehrung im Vordergrund.
„Der Krieg ist mir hier sehr nahegekommen“, drückte eine Schülerin ihre Gefühle nach dem Besuch des Museums Mémorial für die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs nahe Verdun aus. Die realistische Darstellung des Schlachtenlärms, der Schreie von Verwundeten und des Geschützdonners, Briefe der jungen Soldaten aus den Schützengräben ließen keinen der Jugendlichen unberührt. Der Besuch der einstigen Festung Douaumont verstärkte diese Empfindungen. Mit Blick auf den aktuellen Krieg in der Ukraine beschrieb ein junger Mann Gedanken an einen möglichen eigenen Einsatz und meinte: „Im Notfall wäre ich schon bereit, für mein Land zu kämpfen.“
Nach harter Arbeit und großen Fortschritten in der Sprache des jeweils anderen endete die Begegnung in Meisenheim in einem zweiten Festakt. Paarweise erzählten die Jugendlichen der Festgemeinde von ihren Eindrücken. „Wir haben uns vom ersten Moment an super verstanden“, berichtete Martha Milferstedt über ihre Partnerin Jade Abellan und diese ergänzte: „Es waren unvergessliche Tage der Freundschaft mit Martha.“
Als besonderen Fall bezeichneten sich Robin Wons und Andres Zaya. Robin als Schüler des Leistungskurses Geschichte hat als Fremdsprache Latein gewählt und spricht kein Französisch. „Aber wir haben trotzdem starke Momente erlebt“, resümierte Andres mit Blick auf den Besuch der einstigen Schlachtfelder der deutsch-französischen Kriege.
Nachdem die Projektarbeiten aus dem gemeinsamen Kunstprojekt gebührend gewürdigt wurden, leitete eine gemeinsame Tanzvorführung der jungen Deutschen und Franzosen über zu einem gemeinsamen Umtrunk bei „Weck, Worscht und Woi“. Laut und lustig wurde es, als der schuleigene DJ Michael Schmitz seine Licht- und Nebelanlage startete und Jung und Alt auf die Tanzfläche lockte. Dort wurde zu der von den jungen Franzosen und Deutschen erstellten Playlist ausgelassen getanzt, gesungen und gelacht.
An dieser Stelle einen herzlichen Dank an die SV, den Französisch-LK 12 sowie das Orga- und Musikteam des PSG, Maditta Henrich, Heike Lamek, Christine Keller, Jutta Lißmann, Michael Schmitz, Uwe Wöllstein, die den Festakt vorbereitet und tatkräftig unterstützt haben!
Wir schauen mit Dankbarkeit zurück auf eine besondere Freundschaft mit unserer Partnerschule Sainte-Anne und auf eine eindrucksvolle und bereichernde deutsch-französische Projektwoche. Herzlichen Dank an Kristine Buhrke, Zora Davidovic, Felix Fey, Karin Hofmann, Andrea Hügle und Manuela Wagner-Heim sowie unsere französischen Kolleginnen und Kollegen Catherine Bangura, Yvette Coubard, Christophe Gonnier, Gudrun Hören, Fanny Jarousseau und Thomas Moreau, die das Projekt geplant und durchgeführt haben.
Herzlichen Dank auch an Marion Unger, die die Erasmus-Plus-Projektwoche und die Jubiläumsfeierlichkeiten begleitet und für die Presse dokumentiert hat.
Und einen ganz besonderen Dank an das Programm Erasmus Plus der Europäischen Union, das diese Erfahrungen durch eine großzügige finanzielle Unterstützung und weitere wertvolle Anregungen erst ermöglicht hat.
+ Marion Unger, Andrea Hügle
Von der Europäischen Union finanziert. Die geäußerten Ansichten und Meinungen entsprechen jedoch ausschließlich denen des Autors bzw. der Autoren und spiegeln nicht zwingend die der Europäischen Union oder der Nationalen Agentur wider. Weder die Europäische Union noch die Nationale Agentur können dafür verantwortlich gemacht werden.